L.O.U. - On the devine
Ich bleibe an der Bar stehen und sehe Piet nach, wie er hektisch das Lokal verlässt. Er ist mit seiner Freundin verabredet und hat Angst, nicht pünktlich zu sein.
Dass sich mein Sohn ausgerechnet in Marie, eine meiner Mitarbeiter, verlieben musste, damit habe ich so gar nicht gerechnet. Aber seit einem halben Jahr sind sie zusammen und es funktioniert. Ganz offensichtlich. Und ich freue mich für meinen Jungen. Er soll nicht so leben, wie ich es tue.
Als meine Frau und meine Tochter noch lebten, war ich ein guter Ehemann und Vater. Fürsorglich und treu. Fürsorglich, wie man es als Vater sein sollte, treu, wie man es von einem Ehemann erwartet. Die schwere Zeit fing erst an, als unsere Tochter gestorben ist. Nach der ersten Traurigkeit, fühlte ich nur noch Wut und Hass. Und ich weiß noch, als sei es gestern gewesen, dass mich das Naturell meiner Frau Amelia wahnsinnig gemacht hat. Ihre fast perfekte Art mit dem Tod unserer Tochter umzugehen. Ihr Reden, wir sollten nach vorne blicken. Ihr Flüstern abends im Bett, ich sollte doch auch an Piet denken. Meine ganze Welt stand Kopf. Und ich habe alles, wirklich alles in Frage gestellt.
Sie konnte den Schmerz, den ich empfand, als Keeva gestorben ist, einfach nicht nachvollziehen. Sie hat auf andere Art getrauert. Sie war eben ›nur‹ Mutter und nicht wie ich, Vater und Arzt. Wie sollte sie dann nachempfinden, was ich damals fühlte? Sie konnte nicht verstehen, dass ich nicht mehr als Onkologe hätte arbeiten können. Sie konnte nicht verstehen, dass ich der Krankheit, mit der ich mich beruflich tagtäglich auseinandersetzen musste, den Rücken gekehrt habe. Sie konnte nicht verstehen, dass der Krebs nicht nur unsere Tochter Keeva besiegt hat, sondern letztlich auch mich.
Ich habe mich damals mechanisch bei der Polizei beworben, meine Ausbildung gemacht und Vollgas gegeben. Das Resultat: Seit zwei Jahren leite ich meine eigene Dienstgruppe.
Als meine Frau vor vier Jahren ermordet wurde, hatte ich darauf gewartet, einen ähnlichen Schmerz zu spüren, wie bei Keeva. Doch es blieb aus. Es war eine Mischung aus Trauer und Wut. Trauer, weil ich einen Menschen, den ich gut kannte, verloren hatte und Wut, weil mir jemand diesen Menschen genommen hat. Und das auf so tragische Art und Weise. Erschossen in ihrer Apotheke. Einfach so. Mit nur einem Schuss.
Die Staatsanwaltschaft hat den Apothekeneinbrecher für den Mörder gehalten und schuldig gesprochen. Es wurde gesagt, die Beweise seien eindeutig. Für mich waren sie das nicht und sie sind es bis heute nicht. Warum sie es nicht sind? Nun, die letzte Erinnerung die ich an meine Frau habe: Sie kommt in die Küche, voller Angst, und redet immer wieder von der Affäre, die sie gehabt hat. Es sei ein Polizist aus der Innenstadt und dieser wüsste sehr viele Details aus unserem Leben. Und sie sprach von schrecklichen Dingen, die noch geschehen sollten.
Ich war damals zu besoffen, um irgendetwas machen zu können. Ich war gekränkt. Gekränkt, weil mein Weib es gewagt hatte, fremdzugehen. Dann hat sie das Haus verlassen. Einige Zeit später klingelte es und zwei Kollegen standen vor der Tür. Amelia sei erschossen worden. In ihrer Apotheke. Mit nur einem Schuss. Von einem Einbrecher. Von einem Junkie. Der Medikamente stehlen wollte.
Der Kripo habe ich vom letzten Gespräch, was Amelia und ich führten, nie erzählt. Hätte ich erzählt, wäre mein Reden ohnehin nicht ernstgenommen worden. Es wäre gesagt worden, dass ich zu betrunken war, um mich noch an Details erinnern zu können. Aus diesem Grund habe ich geschwiegen. Ich habe geschwiegen und mir, als auch meiner toten Frau Amelia, versprochen, den wahren Mörder zu erwischen. Und dann? Dann übe ich Selbstjustiz. Ganz bestimmt sogar.
Zweieinhalb Jahre nach dem Tod meiner Frau war dies mein einziges Ziel. Ich habe geforscht, jedes noch so kleine Detail ergründet, Zeitungsausschnitte gesammelt, rekonstruiert, einfach alles getan, um Licht ins Dunkel zu bringen. Aber Licht habe ich in diesem Fall nie gesehen. Und so habe ich irgendwann aufgehört, zu forschen, zu ergründen, zu rekonstruieren. Ich habe angefangen, zu resignieren. Sie war tot. Ich meine, letztlich ist es doch egal, wer sie getötet hat. Sie war nicht mehr da. Und ich merkte selbst, dass es mich kaputt machte, wenn ich weiterhin dieses einzige Ziel verfolgen würde. Aber dass die Affäre meiner Frau Details aus unserem Leben weiß, belastet mich bis heute. Ich denke, ich weiß wer er ist. Ich sehe ihn fast jeden Tag. Immer dann, wenn ich Dienst habe. Und manchmal bin ich mir sicher, er weiß, dass ich weiß.
Erst das Ereignis vor etwas mehr als zwei Wochen hat mich wieder beginnen lassen, erneut alle Fakten, die ich damals aufgeschrieben habe, zu untersuchen. Ereignis ist vielleicht das falsche Wort. Drama trifft es wohl eher. Der Junkie, der damals schuldig gesprochen wurde, kam nicht ins Gefängnis. Er kam in eine Forensik weil gesagt wurde, er sei krank und heroinabhängig. Er hatte vor etwas mehr als zwei Wochen das erste Mal Freigang. Er galt als geheilt. Noch am gleichen Abend brach er wieder in eine Apotheke ein. Er wurde erwischt. Von meinen Kollegen. Sie nahmen ihn mit zur Wache. Daniel nahm das Verhör vor, flippt aus und schlägt den Mann bis zur Bewusstlosigkeit. Dann hat er ihn zum Hospital gefahren und vor den Stufen des Einganges aus dem Streifenwagen geworfen. Zeugen haben gesehen, wie Daniel weggefahren ist. Zwei Stunden später wurde Daniel festgenommen. Ich hatte an diesem Tag dienstfrei. Ausgerechnet an diesem Tag. Man könnte meinen, Daniel sei die Affäre meiner Frau gewesen. Doch das war er nicht. Der zweite Mann, der eigentlich hätte beim Verhör anwesend sein müssen, war die Affäre … also glaube ich.
Fakt ist, der Junkie wird nie wieder aus dem Koma erwachen. Zu stark sind seine Verletzungen.
Aber ich habe einen Plan, der hoffentlich Licht ins Dunkel bringen wird. Und diesen Plan werde ich morgen auf der Wache kennenlernen. Ich hoffe es.
Ab und an bin auch ich nur ein Mann. Ein Mann der Lust hat. Ein Mann, der einfach mal eine Frau braucht. Kurz. Nicht mehr und nicht weniger. Heute Abend will ich ein solcher Mann sein. Ich habe Lust. Und ich will mich ablenken.
Ich versuche, mich wieder auf meine Beute zu konzentrieren. Ich versuche, wieder ein Mann zu sein. Nur ein Mann und nicht ein Polizist, der einen Fall aufdecken will.
Ich spüre die Blicke der feurigen Italienerin, die am anderen Ende der Bar sitzt, schon eine ganze Weile und ich frage mich, wann sie sich endlich traut, zu mir zu kommen. Ich mache es ihr leichter in dem ich mein Wasserglas nach oben hebe und ihr kurz zuproste. Sie kommt, geht doch.
»Hallo, mein Name ist Susanna.« Sie lächelt mich offen an. Und bevor ich antworte, schaue ich an ihr runter. Sie gefällt mir. Sie ist eine, mit der ich gerne Sport treiben würde. Das enge rote Kleid, was sie trägt, verspricht eine aufregende Figur. Ganz nach meinem Geschmack. Kurvenreich.
»Mein Name ist Branan«, sage ich und sehe ihr ernst in die Augen. Zu meiner Überraschung lächelt sie, was die meisten Frauen nicht tun, wenn ich mich nur mit meinem Nachnamen vorstelle.
»Und, Herr Branan, was machen Sie so?« Sie lässt mich nicht aus den Augen und trinkt von ihrem Rotwein.
»Ich treibe gerne Sport. Hast du Lust?« Sie ist ein Luder. Sie weiß haargenau, was ich mit Sport meine.
Susanna schüttelt ihre schwarzen langen Haare mit einer gekonnten Bewegung zurück auf ihren Rücken, schmunzelt und lässt ihre Zunge kurz über die Oberlippe gleiten.
»Was für Sport machen Sie?«, fragt sie lasziv.
»Harten Sport.« Ich sehe sie intensiv an.
»Ich bin sehr sportlich.« Sie nimmt mir mein Glas aus der Hand und trinkt es leer, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen. »Bei mir oder bei Ihnen?«
Sie zwinkert mir zu. Sie ist zu dominant, denke ich diesem Moment, in dem sie wieder ihre Zunge kurz zwischen ihren roten Lippen aufblitzen lässt. Sie sollte unterwürfiger sein. Dominante Frauen mag ich nicht und sie weiß ganz genau, was für eine Wirkung sie auf Männer hat.
»Bei dir«, sage ich und denke, die dominante Art werde ich ihr schnell austreiben. Ich hoffe es zumindest.
Ich zahle was auf meinem Deckel steht und ihren Rotwein, gebe dem Kellner ein großzügiges Trinkgeld, dann stehe ich auf und wir verlassen das Lokal.
Wir fahren mit meinem Auto. Sie hätte sich wahrscheinlich ein Taxi bestellt. Sie hat Alkohol getrunken. Einen Freund hat sie offensichtlich nicht, was mich wundert, sie ist wirklich ein heißes Gerät. Und auch macht sie keinen dummen Eindruck, obwohl es mir relativ egal ist, wenn ich ohnehin nur Sport treiben möchte, ob eine kultiviert ist oder nicht.
Sie versucht, mich in ein Gespräch zu verwickeln. Sie redet. Sie redet viel und ich spare mir, ihr zuzuhören. Ihre Geschichten interessieren mich nicht. Nur einen Fick will ich. Mehr nicht.
Ihre Wohnung ist kalt eingerichtet und kurz fröstelt es mich. In so einer Wohnung könnte ich nicht lange verweilen. Alles weiß, gemischt mit grau und lila. Aber die Wohnung passt zu ihr. Kühl und beherrscht. Oberflächlich. Ist die Frage, ob sie das gleich auch noch ist. Einen Moment stehen wir beide etwas ratlos im Flur ihrer Wohnung.
»Wollen Sie etwas trinken?«, fragt sie und lächelt mich kokett an. Ich schüttele den Kopf. Ich will nur ficken und dann nach Hause.
»Susanna, ich will nur Sport treiben und das auf die Art, wie es mir gefällt. Verstehst du? Ich habe an anderen Sachen kein Interesse.«
Sie ist erstaunt. Sie hat damit nun offensichtlich nicht gerechnet und kurz fühle ich mich schlecht, weil ich sie nur gebrauche. Allerdings hätte sie ›Nein‹ sagen können. Auch sie nimmt einfach einen fremden Mann mit nach Hause. Es ist die Frage, ob sie beginnt, über ihren Fehler nachzudenken, doch ihr Lächeln sagt mir etwas anderes. Sie macht mit. Ich gehe auf sie zu, greife ihr in den Nacken und ziehe sie zu mir. Ihre Lippen schreien danach, geküsst zu werden. Hart und unpersönlich und das mache ich. Das gefällt mir. Schon beim Küssen merke ich, dass sie öfter Männer mit nach Hause nimmt. Zu gekonnt ist ihr Umgang mit ihrem Mund, zu gekonnt bewegt sie ihre Zunge und kurz gefällt mir die Vorstellung, mir von ihr einen blasen zu lassen. Soll mir recht sein, dass sie Erfahrung hat, so ist mein anfänglich schlechtes Gewissen weg.
»Was machen Sie?«, fragt sie während ich ihr in den Hals beiße und anschließend meine Zunge über die Stelle gleiten lasse.
»Hast du Gleitcreme oder Vaseline da?«
Sie weiß sofort, was ich mache. Was ich ausschließlich mache, alles andere ist mir zu intim. Zu persönlich.
»Im Bad«, antwortet sie abgehackt.
Sie ist bereit. Sie will es. Sie will es von mir. Sie dreht sich um und ich kann nicht widerstehen, ihr einmal kräftig auf den Hintern zu hauen. Sie zuckt nicht einmal. Sie ist geil. Genauso wie ich.
Im Bad öffnet sie den Schrank und zieht eine Tube Gleitcreme hervor. Mir sagt das: Sie ist keine anale Jungfrau mehr. Ansonsten hätte sie nur Vaseline dagehabt. Umso besser. Dann brauch ich nicht so vorsichtig zu sein.
»Zieh dein Kleid und deine Unterwäsche aus. Lass die Schuhe an.«
Ihr Badezimmer ist genauso kühl und unpersönlich, wie der Rest der Wohnung. Hochmodern, ohne Geschmack.
Sie zögert. Und das gefällt mir nicht. Gar nicht.
»Hör zu, Susanna, zögern mag ich nicht. Und ich hasse es, wenn Frauen sich schämen. Verstehst du das?«
Sie feuchtet ihre Lippen an und nickt und beginnt endlich, sich auszuziehen. Und sie muss sich wirklich nicht schämen. Ihre Kurven lösen bereits jetzt bei mir ein leichtes Pulsieren aus. Meine Jeans fängt an, zu eng zu werden.
Sie steht nackt vor mir, einzig noch die roten Pumps an. Sie lässt die Arme hängen. Sie hält sich daran, sich nicht in meiner Gegenwart zu schämen. Und das ist auch gut so.
»Wollen Sie sich nicht ausziehen?« Unsicherheit schwingt in ihrer Stimme mit. Ich lächle sie an.
»Ich ziehe mich nie aus«, antworte ich und zwinkre ihr zu. Ich nehme die Gleitcreme, die sie auf den Waschbeckenrand gestellt hat, und öffne sie. »Dreh dich um und beug dich weit vor.« Sie hört augenblicklich und stützt sich mit den Unterarmen auf dem Waschbecken ab. Das hat sie gut gemacht. »Braves Mädchen«, lobe ich sie.
***
Ich stöhne laut auf und lege den Kopf in den Nacken. »Was für ein Fick«, entfährt es mir. Ich warte, bis das Pulsieren langsam endet. Behutsam ziehe ich mich aus ihr zurück.
»Ich nehme meinen Arm weg. Kannst du stehen?«
Sie keucht ein ›Ja‹ heraus.
»Alles klar?«, frage ich.
»Tutto a posto«, antwortet sie versucht nüchtern.
Ich lasse sie los, ziehe das Kondom ab, verknote es und schließe schnell meine Hose. Susanna steht immer noch gebeugt über dem Waschbecken. Sie ist außer Atem. Vielleicht ist sie auch etwas erschrocken und obwohl sie sicher schon um die dreißig ist, hoffe ich, dass sie aus der Sache gelernt hat und das nächste Mal keinen fremden Mann einfach wieder mit zu sich nach Hause nimmt. Aber ich bin ihr dankbar, dass sie mich mitgenommen hat. Ich fühle mich deutlich zufriedener als noch zuvor und auch kreisen nicht mehr alle Gedanken nur um das, was auf der Wache geschehen ist.
Ich schmeiße das Kondom in den Mülleimer. »Danke für den Sport, Mädchen.« Ich haue ihr locker auf den Hintern, dann gehe ich.
Als ich im Auto sitze, erschrecke ich etwas. Es ist bereits kurz vor Mitternacht. In fünf Stunden würde mein Wecker gehen.
***